Sammlung Alexander Fiorino, Kassel
Dokumente zur Beschlagnahme des Vermögens und der Kunstsammlung Alexander Fiorinos, 1939–41, 519/3 36136, Blätter 18, 25, 33–34, 44, 104, 108–110, 114–116, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Sicherungsanordnung des Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle) gegen Alexander Fiorino gemäß § 59 Devisengesetz vom 12. Dezember 1938, 19. April 1939, 519/3 36136, Blatt 18, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Bestätigung des Empfangs der Sicherungsanordnung durch die Dresdner Bank Filiale Kassel, 10. Mai 1939, 519/3 36136, Blatt 25, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Sicherungsanordnung des Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle) gegen Alexander Fiorino, Ausführungen zur Verfügungsbeschränkung, 28. Oktober 1939, 519/3 36136, Blätter 33 und 34, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Auflistung des Aktivvermögens Alexander Fiorinos gemäß Vordruck Dev. VI 3 Nr. 2, 17. November 1939, 519/3 36136, Blatt 44, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Brief von Alfred Dellevie, Anwalt, an den Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle) bezüglich der Ausfuhr von „nichtarischen“ Kunstwerken in die Schweiz, 10. Januar 1941, 519/3 36136, Blatt 104, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Versandverzeichnis der in die Schweiz auszuführenden „nichtarischen“ Kunstwerke,
10. Januar 1941, 519/3 36136, Blätter 109 und 110, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Genehmigung der Ausfuhr „nichtarischer“ Kunstwerke durch den Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle), 15. Januar 1941, 519/3 36136, Blatt 108, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Brief von Alfred Dellevie, Anwalt, an den Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle) bezüglich der „Liquidierung“ der Kunstwerke aus dem Nachlass Alexander Fiorinos mit Verweis auf Anlagen 1 und 2, 27. Januar 1941, 519/3 36136, Blatt 114, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Anlage 1: Von den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel „übernommene“ Kunstwerke aus dem Nachlass Alexander Fiorinos, 27. Januar 1941, 519/3 36136, Blatt 115, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Anlage 2: Zu versteigernde Kunstwerke aus dem Nachlass Alexander Fiorinos, 27. Januar 1941, 519/3 36136, Blatt 116, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Alexander Fiorino und seine Schwestern (um 1860), Fotografie, Stadtmuseum Kassel
Alexander Fiorino und seine Ehefrau Henriette, geb. Lieberg (um 1900), Fotografie, Stadtmuseum Kassel
Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck, 9. Jahrgang, Nr. 20, 27. Mai 1932, Stadtmuseum Kassel
Johann August Nahl d. J., Johann Christian Ruhl (1789), Öl auf Blei-Zinn-Legierung, Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung
Ludwig Sigismund Ruhl, Kleopatra (1817), Graphit, Tusche und Aquarell auf Papier, teilweise Gold gehöht, in ein Zeichenbuch eingeklebt, Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung
Text von Valentina Ehnimb
Übersetzung aus dem Deutschen von Alicia Reuter
Übersetzung der Dokumente vom Büro LS Anderson
Mit freundlicher Unterstützung von Bettina Leder-Hindemith, Kuratorin der Ausstellung Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933– 1945, ein Projekt des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks.
Sammlung Alexander Fiorino, Kassel
„Als besonders liebenswerter Zug im Wesen des ehrwürdigen Greises, dem diese Nummer gewidmet ist, muß seine Hinneigung zu alter Kunst und zur Geschichte der Heimat genannt werden.“ Mit diesen Worten eröffnete am 27. Mai 1932 Dr. Kurt Luthmer, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel, seine Würdigung eines alteingesessenen Kasselaners, dem zu seinem neunzigsten Geburtstag eine gesamte Ausgabe der Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck gewidmet wurde. Der Philanthrop Alexander Fiorino (1842–1940) besaß nicht nur eine bedeutende Kunstsammlung, sondern war in zahlreichen Vereinen tätig – beispielsweise in der Gesellschaft für Humanität und im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde – und prägte maßgeblich das öffentliche Leben seiner Heimatstadt Kassel.
Nur sechs Jahre später wurde die Kunstsammlung Fiorinos beschlagnahmt. Sie diente als Pfand für die Entrichtung der „Judenvermögensabgabe“, die jüdischen Bürgerinnen und Bürgern nach dem Novemberpogrom 1938 auferlegt wurde. Das Hessische Landesmuseum Kassel (Staatliche Kunstsammlungen), dem Fiorino seit dessen Gründung 1913 zahlreiche Werke geschenkt hatte, übernahm die Verwahrung der Sammlung.
Die vom Oberfinanzpräsidenten Kassel (Devisenstelle) am 19. April 1939 ausgestellte „Sicherungsanordnung“ entzog Fiorino das Recht, selbst über sein Vermögen zu verfügen – dies betraf sein Bankguthaben, potentielle Erlöse nach Verkauf von Grundbesitz sowie seine Kunstsammlung. Um die „Judenvermögensabgabe“ und die „Reichsfluchtsteuer“ bezahlen zu können, die rund achtzig Prozent seines Aktivvermögens ausmachten, war Fiorino gezwungen, den Großteil seiner Sammlung den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel zu überlassen, die im Gegenzug die vom Finanzamt an ihn gestellten Steuerforderungen beglichen. So gelangten bereits 1939 zahlreiche Gemälde und hunderte von Graphiken und Miniaturen, unter anderem von Ludwig Emil Grimm sowie der Künstlerfamilien Tischbein und Ruhl, in die Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Gerade von letzteren profitierte vor allem das Kupferstichkabinett, die heutige Graphische Sammlung der Museumslandschaft Hessen Kassel, die zahlreiche Werke aus der Sammlung Fiorino besitzt, beispielsweise Ludwig Sigismund Ruhls Kleopatra (1817). Viele Werke wurden durch das Leipziger Kunstantiquariat C. G. Boerner versteigert.
Fiorino starb 1940 im Alter von 97 Jahren. Seine Tochter Johanna Wohlgenannt, die in der Schweiz lebte, bemühte sich um die Rettung einiger Werke der Sammlung ihres Vaters und beauftragte zu diesem Zweck den in Kassel ansässigen Anwalt Alfred Dellevie. Diesem gelang es, eine Ausfuhrgenehmigung für jene „Miniaturen etc.“ zu erhalten, „die von nichtarischen Künstlern stammen bezw. nichtarische Personen darstellen“ (Alfred Dellevie, siehe Brief vom 10. Januar 1941). Die Listen vom 27. Januar 1941 dokumentieren die doppelte „Liquidierung“ des Nachlasses Fiorinos. Ein Teil des Konvoluts wurde von den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel „übernommen“, darunter auch das Jugendbildnis Johann Christian Ruhl von Johann August Nahl d. J. (1789), ein zweiter Teil wurde durch den Auktionator Georg Horn in Kassel versteigert.
Jene Werke, die zwischen 1939 und 1941 versteigert wurden, gelten mit wenigen Ausnahmen als „verschollen“. Das Rose Valland Institut ruft die Öffentlichkeit dazu auf, Kunstwerke, die in jenem Zeitraum in Kassel und Leipzig erworben wurden und sich seitdem in öffentlichen Sammlungen oder in Privatbesitz befinden, zu recherchieren und der Provenienzforschung Informationen zur Verfügung zu stellen.